Zwei Vorträge in den letzten Tagen zu jeweils ähnlichen, hochaktuellen Themen: „Bewertung von digitalen Geschäftsmodellen“ und „The Valuation of Young Tech Companies“. Den ersten Vortrag habe ich im Rahmen des Business Breakfast der Stöhr Faktor Unternehmensberatung (https://stoehr-faktor.de/de/) im Golf Club Hubbelrath in Düsseldorf gehalten, den zweiten Vortag auf der Jahreskonferenz
des niederländischen Unternehmensbewertungsverbands NiRV in Eindhoven (https://www.nirv.nl/nl/jaarcongres).
Zurück am Schreibtisch ist Zeit für ein kurzes Résumé.

Anders als bei dem ganztägigen EACVA-Fokusseminar „Start-Up Valuation“ (hier ein paar Antworten auf häufig gestellte Fragen der Seminarteilnehmer: https://valuesque.com/das-eacva-seminar-start-up-valuation-antworten-auf-push-backs/) konnte ich mir nämlich bei den Vorträgen ein paar Rosinen aus dem Bewertungskuchen herauspicken. Und drei der Schwerpunkte aus den Präsentationen will ich nachfolgend kurz ansprechen (die ersten beiden auch mit einem leicht erhobenen Zeigefinger angesichts der derzeit stark ansteigenden Bepreisungslevels in den Finanzierungsrunden von Tech Start-Ups):

  • Digital = Scale: Ein Missverständnis!

Immer häufiger hört man, dass digitale Geschäftsmodelle so attraktiv sind, weil sie so gut skalierbar sind. Doch dies ist bestenfalls nur im Ansatz richtig. Tatsächlich tut sich ein Großteil der Start-Ups schwer, ein Level zu erreichen, ab dem sich die Skalierung tatsächlich in voller Blüte zeigt. Egal ob KI-, Platform- oder reine Big Data-Geschäftsmodelle: Am Anfang fällt es zwar manchmal leicht, eine gewisse Ausgangsgrundlage zu generieren (Loose Bootstrapping), aber noch deutlich bevor das Geschäftsmodell sich selbst trägt, wird es häufig teuer und schwierig, weitere Masse anzuhäufen (Tight Bootstrapping) – seien es hochqualitative Daten oder eine kritische Kundenmasse. Schon ein relativ einfaches Geschäftsmodell wie ein Chatbot kommt mit eigen-generierten Daten nur selten über die Schwelle, mehr als 50% der Anfragen sinnvoll zu beantworten. Wenn hier eine höhere Qualität erwünscht ist, dann muss tief in die Tasche gegriffen werden.

Die Modelle, die uns allen immer einfallen (Netflix, Uber, etc.) haben es bereits geschafft, in den Skalierungsbereich vorzudringen. Typische Start-Ups müssen dagegen regelmäßig noch einen steinigen Weg gehen, um dort hinzukommen. Je nach Business Modell (umso genauer die Daten sein müssen, umso schwieriger) lohnt sich dieser Weg mal mehr mal weniger, bzw. gelingt mal mehr mal weniger. Klar ist zwar, dass es immer wieder Start-Ups schaffen werden, dorthin zu kommen. Klar ist auch, dass es Unternehmen gibt, die qua First Mover Advantage oder einzigartiger Fähigkeiten den schnellen Weg zur Skalierung gehen können. Aber aus Bewertungssicht stecken meistens viel mehr Unsicherheiten und Kostenbelastungen in den Modellen – der einfache Blue Sky Skalierungs-Weg ist nur sehr selten der bewertungstechnisch richtige.

  • Technologie = Company: Ein Missverständnis!

Virtual Reality, Blockchain, KI, Robotics und Big Data: Alles Themen, von denen man durchaus annehmen darf, dass sie unsere Welt in wenigen Jahren immer entscheidender prägen werden. Aber ein Unternehmen, dass in diesem Bereich tätig ist, wird sich nicht automatisch parallel mit der Technologie mitentwickeln. Im Gegenteil, Digitalisierung und technologischer Fortschritt führen dazu, dass Business-Model-Lebenszyklen immer kürzer werden. Was heute noch Stand der Dinge ist, wird in naher Zukunft vermutlich in ganz anderen Kleidern daher kommen. Nur weil man auf der Welle reitet und aktuell erfolgreich (oder meist zumindest vielversprechend) ist, hat man noch lange keine nachhaltigen Wettbewerbsvorteile aufgebaut. Der nächste Tech-Zyklus kommt bald und ob das Unternehmen dann noch vorne mitspielen kann, hängt an viel mehr als nur der reinen Besetzung eines Zukunftsthemas.

Auch und gerade in den großen Tech-Themen sind die guten alten fundamentalen Analysefragen daher ganz wichtig: Gibt es Eintrittsbarrieren (im digitalen Bereich unterhalb eines attraktiven Scale-Niveaus nicht häufig der Fall)? Gibt es eine Customer Stickiness? Wie groß ist die Flexibilität des Unternehmens in einem sich vermutlich schnell wandelnden Umfeld? Usw. Damit steht und fällt die Frage nach dem nachhaltigen Erfolg. Bei all dem gilt die Faustregel: Umso attraktiver das grundsätzliche Thema ist, umso brüchiger sind häufig die einzelnen Geschäftsmodelle. Wer das nicht sauber in die Bewertung einfließen lässt, der läuft Gefahr, Hype-Bewertungen zu produzieren.

  • Atmende Risikotechniken

Faire Diskontierungsraten bzw. geforderte Renditen für Tech Start-Ups sind nicht selten in Bereichen von 30% bis 50%. Eine genaue Kalibrierung ist in jedem Fall sehr schwierig. Ganz anders als bei etablierten Unternehmen: Als Unternehmensbewerter können wir uns aus Erfahrung nämlich recht gut im Bereich der typischen Aktien-Renditen bewegen und haben dort auch vielfach ein relativ sinnvolles Gefühl für die sachgerechte Rate aufgebaut. Für etablierte Unternehmen lassen sich damit auch Punkt-Bewertungen (oder zumindest Bewertungen in einer engen Bewertungsbandbreite) durchführen.

Eine Technik, um mit der typischerweise großen Unsicherheit bei der Bewertung von Tech Start-Ups umzugehen, ist das Abstellen auf Diskontierungsraten in unserer Bewertungs-Comfort Zone (bis maximal 15%) und als Ausgleich dazu das Verschieben des verbleibenden Teils des Risikos in die ermittelte Wertzahl. Im Ergebnis erhält man dann zwar relativ große Wertbandbreiten. Aber dafür hat man dann eine ähnlich hohe Trefferwahrscheinlichkeit (irgendwo in der Bandbreite) wie bei einer normalen Aktienbewertung (dort aber der Punktwert).

Dreimal „Achtung!“ dazu: Erstens, eine Bandbreite ist tatsächlich eine Bandbreite. Irgendwo dort liegt der Wert des Tech Start-Ups mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Aus Vereinfachungsgründen dann aber den Mittelwert als Punktwert zu verwenden, ist nicht zulässig. Zweitens, Bandbreiten sind für Zwecke der Investmententscheidung oder von Fairness Opinions sinnvoll. Beispielsweise kann man sich beim Kauf an der unteren Schwelle und beim Verkauf an der oberen Schwelle positionieren. Evtl. kann man auch noch eine Sicherheitsdistanz einbauen (die gute alte Benjamin Graham Margin-of-Safety beträgt übrigens 33%). Für gutachterliche Zwecke stößt man mit dieser Technik hier allerdings häufig an Grenzen. Denn da sind tatsächlich Punktwerte gefordert. Drittens, die genaue Übersetzung der Restunsicherheit in konkrete Bandbreiten ist nicht einfach. Mit etwas Übung kann man diese Technik aber durchaus erlernen.