Das 17. Jahresforum Unternehmensbewertung von Handelsblatt-Fachmedien und dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) fand am 6. Juni 2019 in Frankfurt statt. Ein Programmpunkt war eine Podiumsdiskussion zum Thema „Unternehmensbewertung in unsicheren Zeiten: Die Festsetzung von Risikozuschlägen in volatilen Geschäftsfeldern“ mit Dr. Heike Wieland-Blöse (Warth & Klein Grant Thornton),  Dr. Marc Castedello (KPMG), Andreas Keim (Ernst & Young, der für Dr. Sven Schieszl kurzfristig eingesprungen ist), Oliver Thome (Controlware Holding GmbH) und mir. Moderiert wurde die Diskussion von Prof. Wolfgang Ballwieser. Die wesentlichen Ergebnisse des lebhaften Austauschs waren (aus meiner Sicht):

  • Die Bedeutung des Zählers wird in der Unternehmensbewertung zunehmen. Angesichts der steigenden Prognoseunsicherheiten im aktuellen „VUCA“ (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) -Umfeld wird die fundamentale Unternehmensanalyse sowie die intensive Beschäftigung mit der Ermittlung der zukünftigen Zahlungsströme immer wichtiger. Dies gilt sowohl für die gutachtliche Bewertungspraxis bzw. das Erstellen von Fairness Opinions (wo Zahlungsstromanalysethemen bisher eher unterrepräsentiert waren) als auch für die investmentseitige Bewertung (wo Analysethemen schon immer das Hauptaugenmerk galt).
  • Die Tatsache, dass (Produkt- und Geschäftsmodell-) Lebenszyklen kürzer werden, zwingt die Unternehmensbewertung zu einer neuen Auseinandersetzung mit der mittel- bis langfristigen Planung und Prognose. Wo man in der „alten“ Bewertungswelt noch ein langsames Annähern über den Prognosezeitraum an den eingeschwungenen Zustand annehmen konnte, ist man heute immer öfter mit der Frage der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells oder sogar der Prognose eines möglichen späteren zyklischen Zahlungsstrom-Rückgangs konfrontiert.
  • Die eben beschriebene Herausforderung ist allerdings zu trennen von dem großen Analysefeld, das durch das Buzzword „Disruption“ beschrieben wird. Mit letzterem ist das plötzliche Zerreißen ganzer Geschäftsmodelle durch neue Lösungen gemeint – seien sie günstiger, besser, schneller oder „angenehmer“ (more convenient). Disruption tritt häufig auf, wenn Technologien zusammenfließen (bspw. das Internet of Things), wenn digitale Lösungen die alten physischen Lösungen verdrängen (bspw. einst der Online-Buchhandel), wenn neue Billiglösungen möglich sind (bspw. aktuell der Taximarkt oder Datenbanken) oder wenn bestimmte Limitierungen aufgehoben werden (bspw. die Schiefergasförderung). Es liegt leider in der Natur der Sache, dass wir disruptive Entwicklungen meist nicht gut vorhersagen können. Von daher handelt es sich dabei häufig weniger um ein Prognose- als vielmehr ein Risikothema.
  • Insgesamt ist aber m.E. aus Bewertungssicht festzuhalten, dass viele VUCA-Themen sowohl Auswirkungen auf die Zahlungsstromprognose als auch auf die Risikomaße haben. Somit muss der Bewerter häufig auf beiden Seiten des Bruchstrichs (im Zähler und im Nenner) aktiv werden. Dies ist im Übrigen keine Doppelzählung, sondern das einzig sachgerechte Vorgehen.
  • In einem vorgehenden Vortrag wurde eine Wander-App thematisiert. Dabei können Wanderer ihre Routen eintragen sowie die Routen anderer Nutzer ansehen und nachwandern. Ich habe bei dieser Gelegenheit nochmal auf die Probleme vieler digitaler Geschäftsmodelle hingewiesen, in den attraktiven Skalierungsbereich vorzudringen (siehe auch: https://valuesque.com/kleine-vortragstournee-zu-digital-technology-start-up-valuation/). Die vorliegende App wird es sicherlich auch schaffen, eine ganze Menge Daten anzuhäufen (die Wanderung auf den Herzogstand zwischen Kochel- und Walchensee ist dort sicherlich x-mal in allen Varianten enthalten), aber die wirklich interessanten Daten, die die letztendliche Attraktivität der App ausmachen (Tail-Daten), werden wohl nur schwer bzw. nur teuer zu beschaffen sein. Denn gerade die Wanderungen hoch zu den entlegenen Gipfeln des Karwendels auf nicht-ausgetretenen Pfaden werden diejenigen, die die Strecke kennen, wohl kaum in die App einpflegen – zu lästig wäre es Ihnen, ihr einst ruhiges Naturerlebnis am nächsten Sonntag mit zahlreichen anderen Wanderern zu teilen. Ein analytisch sehr interessantes Case!

Insgesamt zeigte die Diskussion, dass zwar die großen Problembereich erkannt sind, aber noch lange nicht für jedes Problem schon eine sinnvolle Lösung gefunden worden ist. Immerhin: Wenn gerade die gutachtliche Unternehmensbewertung sich generell mehr den Analysethemen öffnet, dann wäre das in jedem Fall begrüßenswert. Mal sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln…

Und wer noch etwas mehr über die Berücksichtigung der großen Metathemen Klimawandel, Digitalisierung und politische Entwicklungen erfahren will, der sei hier abschließend auf einen aktuellen Beitrag in der Zeitschrift BewertungsPraktiker von Prof. Felix Streitferdt und mir verwiesen:

Matthias Meitner / Felix Streitferdt (2019): Digitalisierung, Klimawandel, Politische Entwicklung – Ansätze zur Berücksichtigung der großen Metathemen in der Unternehmensbewertung, in: BewertungsPraktiker 02/2019, S. 34-39.